Samstag, 21. November 2020

Ich packe aus

 "Und, habt ihr's bald geschafft?" Diese Frage konnte ich die letzten Wochen und Tage nicht mehr hören. Ja, wir haben es geschafft - dieses verflixte Schuljahr. Entschuldigt meinen Ausdruck, aber er kommt aus tiefstem Herzen. 

Es war doch so: Eltern und Schüler hatten die Möglichkeit auszusteigen, aber wir Lehrer hatten diese Entscheidungsfreiheit nicht. Nein, wir wurden am 12. März diesen Jahres ins kalte Wasser geschickt und mussten uns eine Schwimmart aneignen, wie wir den zugefrorenen Fluss (des fast unpässlichen Schuljahres) überqueren wollten. Homeshooling - unterrichten inmitten von social distancing und virtuellen Medien. 

Dass ich mehr als einmal fast soweit war, auch auszusteigen, haben nur meine Liebsten mitbekommen.  Jedes Mal peitsche mich das antrainierte Über-Verantwortungsgefühl an, mit dem man als Lehrkraft mehr schlecht als recht ausgestattet ist. 

Trotzdem merkte man im Laufe der Zeit, dass man gezwungen wurde, sich als Lehrkraft 2020 einige neue Strategien anzueignen. Einige meiner survivals waren: 

1. Die mediale Verfügbarkeit einschränken. Hausaufgaben und Proben trudelten von morgens bis abends in mein Handy. Obwohl wir genaue Angaben gemacht hatten, hielten sich nicht alle Eltern an die Uhrzeiten (aus verschiedenen Gründen.) Mehr als einmal wünschte ich mir, als Lehrkraft eine Berufsnummer zu haben. 

Dass man mit freiem Gewissen dann auch mal für gewisse Zeitspanne am Tag sein Handy ausschalten konnte, bewahrte mich persönlich davor, digital zu verblöden. Jederzeit erreichbar sein ist Fluch und Segen zugleich. Jeder musste da wohl für sich seinen Weg finden. 

2. Es allen recht machen, ist unmöglich. An dem Kühlschrank in meinem Elternhaus hing früher immer ein Aufkleber mit dem Spruch "Es allen recht machen zu wollen, ist der beste Weg, um selber unglücklich zu werden". Wie war! 

In einem Jahr, wo keiner wusste, was noch Wahrheit und was mediale Aufbauscherei war und ist, wusste ich als Lehrerin an manchen Tagen nicht, wem kann ich es noch recht machen und wer kommt zu kurz. Alle Meinungen sollten ja toleriert werden. 

Ja, ich gestehe, es sind Schüler dabei zu kurz gekommen. Ja, es sind Themen oberflächlich oder gar nicht behandelt worden. Ich stehe dazu. Es ging einfach nicht anders. Punkt. Wir dürfen uns da selber auch nicht runtermachen. Auch als mehr zum Ende des Jahres hin Ideen kamen, was man noch machen könne, um das Jahr abzurunden (von Seiten der Eltern), sagte ich irgendwann: "Stop!". Wir können jetzt nicht mit aller Wucht aufholen, was in 8 Monaten nicht gefördert wurde an Klassengemeinschaft. Lasst uns jetzt langsam einen Punkt machen und das Ungelöste aushalten." 

3. Von zuhause aus arbeiten ist Last und Lust zugleich (um nicht zu sagen; Segen und Fluch zugleich). Wo wir anfangs noch froh darüber waren, als Lehrkraft auch mehr zuhause sein zu dürfen, wurde es mit den Wochen zunehmend schwieriger. Tausend Dinge verschaffen einem zuhause Ablenkung. Angefangen von der Waschmaschiene bis hin zu indigenen Arbeitssuchenden und Bettlern an der Tür. Wie man es schafft? Keine Ahnung. Ich habe kein Patentrezept entwickelt. Ich habe versucht, einen Tag auf einmal zu nehmen. Und mir immer wieder den Timer zu setzen für gewissen Arbeiten. (Ihr wisst schon: mein Timer ist mein Freund im Haushalt, grins!)

Es gäbe noch viel zu sagen. Aber ich setze hier mal einen Punkt. Diese Zeilen aufzuschreiben hat mir geholfen, das Ganze innerlich zu verarbeiten und meinen Gefühlen einmal freien Lauf zu lassen. Jetzt brauche ich dringend Abstand. Abstand von meinem Smartphone, Abstand von Eltern und Schülern, Abstand von den unzähligen neuen Anforderungen. Ferien!

lr

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